Die Streuobstwiese – wichtiger Lebensraum und Garant für Artenvielfalt

Auf der Streuobstwiese stehen Bienenstöcke und ein Insektenhotel.

Streuobst wird zunehmend wiederentdeckt – ob für Säfte, für die Verarbeitung zu Dörrobst, Marmeladen oder Schnaps oder unverarbeitet beim Einzelhändler. Aber was genau ist eigentlich eine Streuobstwiese, und was unterscheidet sie von anderen Obstanbauflächen? Zeit, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Der Begriff Streuobstwiese bezieht sich auf eine besondere Art des Obstanbaus. In der intensiven Landwirtschaft werden Obstbäume in Monokulturen dicht an dicht gepflanzt und nicht selten mit Pestiziden behandelt. So soll ein möglichst großer und leicht zu verarbeitender Ertrag erreicht werden. Die Obstbäume sind niedrigstämmig, um das Pflücken der Früchte zu vereinfachen. Bei der Streuobstwiese verhält es sich da ganz anders: Die Bäume dürfen wild wachsen, werden selten beschnitten und haben dabei viel Platz, um sich zu entwickeln. Zudem existiert auf diesen Flächen eine Artenvielfalt, wie sie sich auf Obstplantagen nicht vorfinden lässt. Wiesen mit Wildkräutern und Blumen oder die naturnahe Nutzung der Flächen machen sie zu einem artenreichen Lebensraum für Flora und Fauna.

Das Beste an der Streuobstwiese: Keine ist wie die andere

Da es ganz unterschiedliche Formationen aus Streuobstwiesen gibt, hat der Verband der Gartenbauvereine in Deutschland (VGiD) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2008 eine Definition des Begriffs Streuobstanbau veröffentlicht:

„Streuobstanbau ist eine Form des extensiven Obstbaus, bei dem großteils starkwüchsige, hochstämmige und großkronige Obstbäume in weiträumigen Abständen stehen. Charakteristisch für Streuobstbestände ist die regelmäßige Unternutzung als Dauergrünland. Daneben gibt es Streuobstäcker mit ackerbaulicher oder gärtnerischer Unternutzung, Streuobstalleen sowie sonstige linienförmige Anpflanzungen. Häufig sind Streuobstbestände aus Obstbäumen verschiedener Arten und Sorten, Alters- und Größenklassen zusammengesetzt, sie sollten eine Mindestflächengröße von 0,15 ha umfassen. Im Unterschied zu modernen Dichtpflanzungen mit geschlossenen einheitlichen Pflanzungen ist in Streuobstbeständen stets der Einzelbaum erkennbar.“

Warum sind Streuobstwiesen wichtig und wertvoll?

Jede Streuobstwiese hat ihren eigenen, ganz besonderen Charakter. Das macht sie als Lebensraum für Insekten, Reptilien, Vögel und andere Tiere zu einem perfekten Biotop. Da dieser Lebensraum größtenteils sich selbst überlassen bleibt, können sich hier auch Tier- und Pflanzenarten ansiedeln, die sonst unter ökologischem Stress stehen.

Ein Grünspecht sitzt auf einer Wiese.
Vögel wie der Grünspecht lieben Streuobstwiesen.© CC0 / valpictures44

Streuobstwiesen haben in Mitteleuropa eine lange Tradition. Schon seit Jahrhunderten baut der Mensch hier sein Obst unweit seiner Siedlungen an. Die Kulturgeschichte des Streuobsts reicht Schriftquellen zufolge in Europa mindestens ins 15. Jahrhundert zurück. Allerdings musste diese Art des Obstanbaus in Deutschland in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich den verhältnismäßig artenarmen Plantagen weichen.

In der intensiven Landwirtschaft hat sich die traditionelle Form des Obstanbaus als weniger ertragreich und zu arbeitsintensiv herausgestellt. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) schätzt, dass allein in den Jahren 1965 bis 2010 drei Viertel aller bis dahin existierenden Streuobstwiesen in Deutschland und Mitteleuropa verloren gingen. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft kamen aber auch viele Probleme auf, auf die Konsumenten mittlerweile aufmerksam reagieren. Der Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien in der Lebensmittelindustrie erfährt zunehmend gesellschaftliche Kritik. Mehr und mehr Menschen bevorzugen Produkte, die in der ökologischen oder biodynamischen Landwirtschaft hergestellt werden. Die Streuobstwiesen liefern einen alten Lösungsansatz für eines der größten Probleme unserer heutigen Zeit. Ein Umdenken und die Wiederentdeckung der Anbauweise ist insofern wieder brandaktuell, weil in Deutschland der Streuobstanbau fast in Vergessenheit geraten ist. Mittlerweile sind nur noch 400.000 Hektar Streuobstwiese erhalten.

Die Vorteile der Streuobstwiesen gegenüber dem konventionellen Obstanbau

Die Streuobstwiese ist ein Paradies der Artenvielfalt. Laut Bund Naturschutz können sie im Vergleich zu konventionellen Obstplantagen Lebensraum für das Zehnfache der heimischen Vogelarten sein. Gerade in der Kombination Streuobst und Wiese erzeugt die menschengemachte Kulturlandschaft eine Biodiversität, wie sie sonst selten anzutreffen ist. Das liegt zum einen daran, dass der Streuobstanbau an sich bereits sehr vielfältig ist. Auf Streuobstwiesen wird, anders als auf ertragsorientierten Obstplantagen, keine Monokultur betrieben. Die Bäume sind unterschiedlicher Natur und gemischten Alters – manche Bäume sind bereits über 100 Jahre alt – und bieten insbesondere Insekten eine willkommene Abwechslung zur Blütezeit.

Die Wiese auf der Streuobstwiese ist voll mit bluehenden Wildkräutern.
Insekten finden auf den naturbelassenen Obstwiesen auf ihrer Suche nach Nektar viele Anlaufstellen.© CC0 / Castagnari53

Die Biotope sind aber auch für das Mikroklima sehr interessant. Der hohe Wuchs der Bäume und ihr Alter tragen dazu bei, dass Flora und Fauna reichlich Schattenschutz erfahren. Der Wind wird durch die unterschiedliche Streuung der Bäume und durch den oft unberührten Wiesen- und Krautwuchs in Bodennähe reduziert, was wiederum die Erde vor zu starker Verdunstung schützt.

Streuobstbäume sind durch tiefreichendes Wurzelwerk besser gegen Bodenabtragung gewappnet als die intensiv bewirtschafteten Obstbäume auf Plantagen. Die alten Rinden der Bäume, das Totholz und die Höhlen auf den Streuobstwiese dürfen bestehen – und locken allerlei Organismen und Tiere an. Von den Wiesen profitieren letztlich nicht nur Flora und Fauna, auch dem Menschen kommen die Vorteile des Streuobsts zugute.

Die Artenvielfalt im Biotop Streuobstwiese

Streuobstwiesen gehören zu den in Mitteleuropa gefährdeten Biotop-Typen. Sie stehen durch ihren starken Rückgang in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf der Roten Liste und gelten als Kulturbiotope mit unschätzbarem Wert sowohl für die Gestalt der Kulturlandschaften als auch für die darin befindliche Biodiversität.

Die Wiesenflächen werden höchstens zwei Mal im Jahr gemäht, sodass Insekten, Reptilien und andere Organismen ungehindert ihren Lebensraum im Biotop einrichten können. Sie bleiben dabei größtenteils ungestört. Weitestgehender Verzicht auf Mineraldünger sorgt für vielfältigen Kräuterwuchs und für lockere, gut durchlüftete Böden. Einige der hier ansässigen Tier- und Pflanzenarten sind:

  • Vögel: Wendehals, Steinkauz, Grünspecht, Kleinspecht, Gartenrotschwanz, Grauschnäpper, Halsbandschnäpper (nicht überall in Deutschland), Wiedehopf (nicht überall in Deutschland), Goldammer, Baumpieper. Und gelegentlich auch Rebhühner, Greifvögel, Schwalben
  • Insekten: verschiedene Wildbienenarten, viele Nutzinsekten und Armeisenarten
  • Säugetiere: verschiedene Fledermäuse, Siebenschläfer, Igel, Wiesel, Iltis, Haselmaus
  • Wildblumen: Wiesensalbei, Schlüsselblume, Margerite

Typische Anbauprodukte einer Streuobstwiese

Nicht alle Obstsorten eignen sich gleich gut für den Streuobstbau. Es gibt dennoch viele, zum Teil sehr alte Sorten, die heute neu entdeckt werden. Neben Voraussetzungen wie Bodenbeschaffenheit und Klima spielt auch die Geschichte der Obstsorten und ihr konkreter Verwendungszweck eine entscheidende Rolle. Die Obst- und Gartenbauvereine der jeweiligen Region sowie die ansässigen Landratsämter können bestenfalls Auskunft darüber geben, welche besonderen Sorten lokal angebaut werden. Allein in Deutschland gibt es laut NABU über 3.000 Sorten, die Früchte aus der hochstämmigen Baumernte produzieren.

Die häufigsten Streuobstsorten sind Äpfel. Und zwar vor allem Sorten, die weiterverarbeitet werden. Aber auch Zwetschgen, Mirabellen, Kirschen, Quitten und Walnüsse stammen nicht selten aus Streuobstanbau. Wenn Sie sich für Streuobst interessieren und den Anbau unterstützen wollen, geben Ihnen folgende Apfelsorten Orientierung. Sie sind hervorragend für diese Art des Obstanbaus geeignet:

  • Brettacher
  • Gute Graue (Birnensorte)
  • Danziger Kantapfel
  • Geflammter Kardinal
  • Grahams Jubiläumsapfel
  • Jakob Lebel
  • Kaiser Wilhelm
  • Mollebusch (Birnensorte)
  • Rote Sternrenette
  • Gravensteiner
  • Winter-Rambour
Auf dieser grünen Streuobstwiese wachsen viele Apfelbäume, die viele Früchte tragen.
Gerade alte Apfelsorten findet man auf Streuobstwiesen – probieren Sie sich mal durch!© helmutvogler - stock.adobe.com

Wo gibt es heute noch Streuobstwiesen?

In West- und Mitteleuropa ist die Streuobstwiese noch weit verbreitet, obwohl sie in den letzten fünfzig Jahren immer seltener anzutreffen ist. Großflächige Bestände gibt es laut NABU neben Regionen in Süd- und Mitteldeutschland auch in manchen Regionen Frankreichs (Normandie, Lothringen), in Luxemburg, Spanien (Norden), Österreich, Schweiz, Slowenien und Tschechien.

Wer mehr über die Streuobstwiesen in seiner Region erfahren und herausfinden möchte, wo diese genau verortet sind, erhält zahlreiche Hinweise im Internet. Die Seite des Hochstamm Deutschland e.V. enthält beispielsweise viele interessante Themen rund um die regionale Flächen. Hier finden Sie Anregungen zum Streuobstanbau und können sich auch mit einer Mitgliedschaft aktiv für den Erhalt der Biotope einsetzen.

Die Pflege der Streuobstwiesen erfolgt mit Einklang mit der Natur

Die Streuobstwiese erfährt durch den Menschen nur die wirklich notwendigen Eingriffe. Dazu zählt der einfache Baumschnitt im Herbst/Winter sowie die Mahd (das Mähen), die im Juni und im September stattfindet. Die erste Mahd erfolgt, nachdem Bodenbrüter ausgeflogen sind und die Wildblumen sich versamt haben. Im Spätsommer wird nochmal gemäht, um zu vermeiden, dass die Grasnarbe verfilzt und die Wiesenkräuter sich zu stark ausbreiten.

Trotz strenger Auflagen bei der Streuobstzucht gehören Weidetiere auf den Wiesen zur typischen Streuobst-Kulturlandschaft. Es ist vorteilhaft, wenn nicht der Mensch, sondern Schafe, Ziegen, Rinder, Esel oder Pferde für die „Pflege“ der Streuobstwiese sorgen.

Schafe weiden auf einer Streuobstwiese.
Schafe sind praktische Rasenmäher für Streuobstwiesen.© CC0 / ivabalk

Darf man auf einer Streuobstwiese selbst ernten?

Für die Ernte gilt: Die meisten Streuobstwiesen sind privates Eigentum und können nicht einfach nach Belieben abgeerntet werden. Auch Fallobst kann genaugenommen nicht einfach eingesammelt werden. Es gibt aber ein reiches Angebot in den Kommunen – und das in der Regel für kleines Geld. Manche Besitzer bieten ihr Fallobst gar umsonst an. Solche Wiesen zum zugreifen finden Sie zum Beispiel über Mundraub.org.

Streuobstwiesen fördern …

Es ist eigentlich nicht so schwer, Streuobstbauern aus der Region zu unterstützen. Sie möchten in Zukunft leckeres und vitaminreiches Streuobst öfter auf Ihren Speiseplan setzen? Dann sollten Sie folgende Punkte beim nächsten Einkauf unbedingt beachten:

  • Kaufen Sie weniger nach Aussehen als vielmehr nach regionaler Herkunft ein. Entscheiden Sie sich bewusst für Obst oder Säfte von lokalen Streuobstwiesen.
  • Kaufen Sie Obst, Obstsäfte oder Obstprodukte von heimischen Streuobstwiesen am besten auf dem Wochenmarkt oder direkt beim Erzeuger.
  • Unterstützen Sie Streuobstwiesenbesitzer in Vereinen und fördern Sie so die aufwendigere Ernte und eine fachgerechte Pflege der hochstämmigen Bäume.
  • Unterstützen Sie eines der Projekte auf Plattformen wie AgoraNatura & Co. Es gibt zahlreiche Initiativen und Ideen, die die Streuobstwiese wieder prominenter machen wollen.
  • Wenn Sie eine Möglichkeit zum Obstanbau haben: Pflanzen Sie selbst hochstämmige Obstbäume.
Eine Flasche selbst gepresster Apfelsaft steht neben einigen Äpfeln auf einem Gartentisch.
Obst von regionalen Streuobstwiesen lässt sich zum Beispiel zu Köstlichkeiten wie selbst gepresstem Apfelsaft weiterverarbeiten.© Waschbär

… und Streuobst selber pflanzen

Streuobstwiesen kann grundsätzlich jeder anlegen. Da viele Gemeinden auf den starken Rückgang der Streuobstkultur mit Pflanzaktionen und interessanten Ratgebern reagieren, sollten Sie sich unbedingt in Ihrem näheren Umfeld umhören. Sollten Sie selbst keine dafür geeignete Fläche besitzen, so können Sie bei lokalen Obstbauern nach Möglickeiten zur Bepflanzung anfragen.

Für die erfolgreiche Umsetzung gibt es einige Vorbereitungen zu treffen. Wichtige Anhaltspunkte zu Standorten, Obstsorten, Pflanzung und Baumschnitt können Sie beispielsweise aus dem ausführlichen Praxishandbuch des Deutschen Verbands für Landschaftspflege entnehmen. Sie können es dort kostenlos herunterladen.

Eines steht fest: für die Einrichtung einer Streuobstwiese benötigt man vor allem einen geeigneten Standort. Ein humusreicher, durchlässiger Lehmboden in Sonnenlage, gerne am Hang, ist ein geeigneter Platz. Im Idealfall ist der Standort etwas windgeschützt, allerdings nicht am Fuß eines Hanges oder in einer Mulde. Eine nicht genutzte Grünlandfläche bietet die besten Voraussetzungen. Manche Bauern verpachten Ihnen einen solchen Standort gerne. Zudem werden Streuobstwiesen je nach Bundesland finanziell gefördert. So kann sich die Neuanlage auch für den Grundbesitzer lohnen. Wichtig: Bevor Sie starten, erstellen Sie unbedingt einen Pflanzplan. Das erleichtert die spätere Planung und Pflege.

Weitere Tipps zum Anlegen einer eigenen Streuobstwiese

Der Bund Naturschutz e.V. hat zur Neuanpflanzung weitere nützliche Tipps:

  • Pflanzung im Herbst (Oktober/November) besser als im Frühjahr
  • Bäume sofort nach Anlieferung auspflanzen oder in Erde einschlagen
  • Pflanzgrube 80 x 80 cm groß, ca. 50 cm tief
  • Pflanzschnitt zur Erziehung der Krone
  • Wühlmausschutz aus verzinktem Draht – ca. 50 cm tief
  • Anbinden des Stämmchens mit Kokosschnur an drei Stützpfählen
  • Verbiss-Schutz aus Draht gegen Wild und Weidetiere
  • Ausgiebig wässern bzw. angießen
  • Abgängige Bäumchen möglichst bald ersetzen
  • Erziehungsschnitt bei jungen Bäumen in den ersten fünf, besser in den ersten acht bis zehn Jahren, Erhaltungs- oder Verjüngungsschnitt alle paar Jahre
  • Wiesenmahd mit Mähgutabfuhr maximal zwei Mal im Jahr (kein Mulchen!)
  • Verzicht auf Mineraldünger – und vor allem Pestizideinsatz – sollte sich von selbst verstehen

 

Haben Sie Erfahrungen mit Streuobstwiesen? Besitzen Sie vielleicht eine oder kennen sich mit der Pflege aus? Teilen sie gerne Ihre Hinweise und Tipps in den Kommentaren.

 

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