Innovative Fasern – sind sie der Weg in eine nachhaltigere Textilindustrie?

Innovative Fasern in bunten Farben

Mehr als 90 Prozent der ausgedienten Textilien landen in deutschen Altkleidercontainern. Diese Angabe veröffentlich der Verband Textil+Mode in einem Faktencheck auf seiner Webseite. Das Recycling sowie die Weiter- und Wiederverwendung von Textilien ist ein wichtiger Faktor, um die Branche nachhaltiger zu gestalten. Kein Wunder, dass einige Unternehmen mittlerweile auch auf die Entwicklung und Produktion von neuartigen Fasern setzen. Doch was genau sind innovative Fasern überhaupt, welche Ansätze gibt es und wie groß sind die Effekte auf die Nachhaltigkeit der Kleidungsstücke?

Das Problem herkömmlicher Textilien

Baumwolle und Kunststofffasern zählen mit zu populären Materialien für Textilprodukte. Ökologisch betrachtet schneiden die Stoffe allerdings oftmals nicht so gut ab. Denn Kunststoff wird aus Erdöl gewonnen und benötigt darüber hinaus in der Herstellung, ebenso wie Baumwollfasern, Energie und (virtuelles) Wasser. So fallen beispielsweise für ein Kilogramm Baumwollfasern laut WWF 22.000 bis 25.000 Liter an. Neben der dauerhaften Störung und Verschmutzung des Wasserhaushalts im Anbau- und Produktionsgebiet kann auch der Boden Schaden vom Baumwollanbau tragen. Denn dieser findet oftmals in Monokulturen statt, was negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt sowie die Beanspruchung der Nährstoffe im Boden haben kann. Weiterhin steht die genutzte Fläche nicht mehr für die Menschen vor Ort für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung.

Was macht innovative Fasern aus?

Hinter innovativen Fasern stecken in der Regel neue, umweltschonende Verfahren und Produktionsansätze. Sie nutzen bereits bestehendes Material für die Herstellung von Textilfasern. Das hat zum Beispiel den Vorteil, dass keine neuen, landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau der Rohstoffe beansprucht werden. Auch der Wasserverbrauch kann je nach Verfahren vergleichsweise niedriger sein, als für die Baumwollproduktion benötigt würde. Zu den wieder- und weiterverwendeten Materialien zählen beispielsweise Holzreste, recycelter Kunststoff oder organische Industriereste.

Leere Plastikflasche wird in einer Tasche zu Hause entsorgt.
Wenn Kunststoff fachgerecht recycelt wird, können daraus neue Fasern für die Textilproduktion entstehen.© CC0 / Lisa Fotios

Es existieren verschiedene Methoden zur Herstellung innovativer Fasern. In diesen steht häufig die Gewinnung von Cellulose im Mittelpunkt, aus der dann neue Fasern sozusagen recycelt werden. Das ist natürlich eine sehr vereinfachte Darstellung dieser Prozesse. Die einzelnen Unternehmen, die sich der Herstellung innovativer Fasern widmen, nutzen intern angepasste Prozesse sowie eigens angepasste Methoden, sodass es für die einzelnen Verfahren und Produkte viele Bezeichnungen gibt. Ein gutes Beispiel ist dabei der Stoff Lyocell: Dabei handelt es sich um eine Cellulose-Regeneratfaser, die von der LENZING AG unter anderem als TENCEL™ vertrieben wird. TENCEL™ ist eine Marke der Lenzing AG.

Innovative Fasern im Überblick

Lyocell

Bei Lyocell handelt es sich um eine Regeneratfaser, also eine Faser, die aus nachwachsenden Rohstoffen mithilfe chemischer Aufbereitung hergestellt wird. Für die Umwelt bringt der Stoff einige Vorteile mit sich: Lyocell ist biologisch abbaubar und damit kompostierbar.

Zum Einsatz kommt Lyocell als Baumwollalternative in Form von Alltagskleidung, Wäsche, Heimtextilien und Sportbekleidung. Besonders für Letzteres eignet sich Lyocell, da der Stoff vergleichsweise mehr Feuchtigkeit aufnimmt als Baumwolle. So sorgt die Faser für ein angenehmes Körperklima.

Nahaufnahme eines blauen Overalls aus innovativen Fasern.
Robust und stylisch – dem Kleidungsstück sieht man nicht an, dass es biologisch abbaubar ist.© Waschbär

Milchfaser

Eine weitere ökologische Alternative zu Baumwolle stellt die Milchproteinfaser, kurz Milchfaser, dar. Grundlage für die Herstellung bildet das Milcheiweiß Kasein. Dieses entsteht als Nebenprodukt der Milchindustrie. Ein Vorteil von Milchfasern ist, dass ebenfalls ein Stoff verarbeitet wird, der im Zuge anderer Produktionen ohnehin anfällt.

Eine neue Version der seit den 1930er-Jahren bekannten Milchfaser vertreibt die Qnature AG. Das Produkt nennt sich QMILK® Milchfaser. Laut Unternehmenswebseite beansprucht der Produktionsprozess maximal zwei Liter Wasser pro Kilogramm hergestellter Faser. Außerdem sei die Herstellung bei niedrigen Temperaturen möglich, wodurch im Vergleich zur Produktion anderer Fasern Energie eingespart würde.

Innovative Fasern aus Algen

Alge plus Holz gleich Baumwollersatz. Klingt außergewöhnlich? Ist es auch! Vor allem für die Umwelt außergewöhnlich nachhaltig. SeaCell™ nennt sich eine innovative Algenfaser. Hergestellt wird das Produkt aktuell von der Smartfiber AG. Das Besondere an SeaCell™ ist, dass neben Restfasern aus der Holzindustrie auch gemahlene isländische Meeresalgen in das Material eingearbeitet werden. Dabei setzt die Smartfiber AG laut Webseite auf umweltfreundliche, energie- und ressourcenschonende Produktionsmethoden. Der Algen-Stoff wird für die Herstellung von Heimtextilien, Arbeitskleidung, Nacht- und Unterwäsche sowie Socken genutzt.

Algen sind unter der Wasseroberfläche zu sehen.
Unglaublich, dass aus dem glitschigen Seegras einmal feste Textilien werden.© CC0 / cottonbro

Innovative Fasern aus Zitrusresten

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die italienische Firma Orange Fiber – statt Holz und Algen verwendet das Unternehmen allerdings Abfallprodukte der Zitrusfruchtindustrie. Und davon fallen laut Hersteller mehr als 700.000 Tonnen pro Jahr allein in Italien an. Die innovativen Fasern ersetzen Baumwollfasern. Erhältlich ist das Produkt in Form von Wäsche, Heimtextilien und Freizeitkleidung. Auch hier besteht der ökologische Vorteil darin, dass keine zusätzlichen Anbauflächen für die Rohstoffe in Anspruch genommen werden müssen.

Regeneriertes Nylon

Regeneriertes Nylon? Das klingt erst einmal nach nicht sonderlich viel Tragekomfort. Doch der Schein trügt! Die innovative Faser wird zur Herstellung von unter anderem Bade- und Sportbekleidung, Sesselbezüge und Teppiche verwendet. Das Unternehmen Econyl zählt zu einem der Hersteller des gleichnamigen Produkts.

Dafür sammelt, sortiert und reinigt das Unternehmen Nylon aus zum Beispiel alten Fischernetzen, Stoffresten, Teppichböden und Industriekunststoffen. Im Zuge des Regenerationsprozesses entsteht das sogenannte Nylon ECONYL®, das gleichwertig mit normalem Nylon ist. Der Modeindustrie und der Innenausstattung dient das Produkt als nachhaltiges Teppich- und Textilgarn.

Innovative Fasern sind nur ein Anfang

Der Einsatz von Stoffen, die aus Milchfasern, Zitrus- und Holzresten sowie Algen bestehen, ist ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltigerer Textilproduktion. Gänzlich nachhaltig sind die Produkte in der Regel jedoch nicht; schließlich benötigen auch innovative Produktionsprozesse Wasser, Energie und unter Umständen Chemikalien. Damit die Textil- und Modeindustrie ihre Klimabilanz weiter verbessern kann, sind also Maßnahmen über innovative Fasern hinaus gefragt. So produzierte die Textilindustrie laut eines Beitrags auf Quarks.de im Jahr 2015 1,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. „Das sind mehr Treibhausgase als die internationalen Flüge und die Schifffahrt zusammen verursachen. Tendenz steigend“, schreibt Quarks-Autorin Inka Reichert. Damit ist nach wie vor nicht nur die Textilindustrie gefragt, sondern auch Verbraucherinnen und Verbraucher.

Schreiben Sie einen Kommentar

* Diese Felder sind Pflichtfelder.