Mental Load: Raus aus der Überlastung im Familienalltag

Eine Mutter versinkt im Chaos in der Küche mit ihren vier Kindern.

Wenn einem abends der Kopf brummt und man nachts von umherkreisenden Gedanken wach gehalten wird, ist klar: Heute war wieder alles zu viel. All die kleinen Aufgaben, die sich im Familienalltag und bei der Arbeit anhäufen und für die man sich ständig verantwortlich fühlt, werden zu einer mentalen Belastung. Dafür gibt es einen Begriff: Mental Load. Was man darunter versteht, wie sich Mental Load konkret äußert und wie sie sich reduzieren lässt, erfahren Sie hier.

Was ist Mental Load?

Der Fachbegriff „Mental Load“ stammt nach Dr. Olaf Hars, Biologe und systemischer Coach in Berlin, aus der Stressforschung der 1970er-Jahre. Man suchte damals nach einer Bezeichnung für die mentale Überlastung und deren Auswirkung auf den Körper und die Gesundheit. Mental Load steht also für geistige Belastung. So, wie der Begriff heute verwendet wird, müsste man eigentlich von Mental Overload sprechen. Damit bezeichnet man die dauerhafte, langfristige, chronische Überlastung im privaten und beruflichen Bereich sowie das Vereinen der Bedürfnisse aller Beteiligten.

Mit Mental Load sind also nicht nur der überlaufende Wäschekorb und die zu organisierende Geburtstagsparty gemeint. Es handelt sich vor allem um die komplexe Gesamtheit aller täglich zu bewältigenden kleinen, unsichtbaren Aufgaben auf einer endlosen To-do-Liste. Damit ein Familienalltag reibungslos verläuft – vom Packen der Schulranzen über den Arztbesuch bis hin zum Kochen des Abendessens – erledigt das Gehirn Meisterleistungen. Oder, wie es Dr. Hars nennt, einen kognitiven Kraftaufwand.

Der Bereich der Care-Arbeit ist in diesem Zusammenhang wie ein Eldorado der komplexen Gedanken. Kümmert man sich zusätzlich um ein krankes Familienmitglied, erfordert dies Kompetenzen, die man nie erlernt hat.

Erste Symptome von Mental Load

Im Podcast der Techniker „Ist das noch gesund“ erklärt Dr. Olaf Hars, welche Beschwerden Menschen mit Mental Load an ihn herantragen. Häufig berichteten sie davon, dauerhaftem Stress ausgesetzt zu sein. Sie würden nie wirklich zur Ruhe kommen, selbst wenn sie sich entspannen wollten. Auch hätten sie Schwierigkeiten beim Einschlafen oder würden nachts mit sich drehendem Kopfkarussell aufwachen. Alarmierend sei, „wenn man schon gar nicht mehr weiß, wann man das letzte Mal etwas für sich gemacht hat.“

Körperliche Anzeichen sind klassische Stresssymptome wie ein erhöhter Herzschlag, Bluthochdruck, Panikattacken, Rückenverspannungen und Schlafstörungen. Menschen mit zu hoher Mental Load sind oft gereizter, dauerhaft erschöpft (in etwa wie beim Burn-out-Syndrom), werden depressiv und leiden unter Migräne oder Tinnitus.

Gesundheitliche Folgen von Mental Load

Die Überforderung durch eine zu hohe Mental Load äußert sich häufig im Rückzug. Man hat keinen Ansporn mehr, eigenen Hobbys nachzugehen, und nur wenig soziale Kontakte. Gleichzeitig verschiebt man alles Persönliche auf einen unbestimmten Zeitpunkt. Im Beruf kann eine zu hohe Mental Load zu übersteigertem Perfektionismus führen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der die eigene Fehlerquote ansteigen lässt. Eine zu hohe Mental Load kann somit auch ein Vorbote von Burn-out werden.

Wer ist von Mental Load betroffen?

Eine erste deutsche Studie zum Thema Mental Load wurde im August 2023 von zwei Wissenschaftlerinnen der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht. Unter den mehr als 2.255 Befragten (1.047 Frauen und 1.208 Männer) gaben Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Männer an, den überwiegenden Teil der kognitiven Arbeit im Haushalt zu übernehmen (62 Prozent versus 20 Prozent). Dabei waren knapp 66 Prozent der Männer davon überzeugt, dass beide Partner zu gleichen Teilen die Alltagsorganisation übernehmen, während nur 35 Prozent der Frauen dieser Ansicht waren. Woran liegt das?

Viele Paare haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die klassische Rollenverteilung innerhalb der Familie immer noch fortbesteht. Frauen sind so sozialisiert, dass sie sich nach wie vor als Hauptverantwortliche im Bereich Care Work und Familienorganisation fühlen, und zwar unabhängig davon, ob sie in Voll- oder Teilzeit arbeiten.

Nach den Erfahrungen von Dr. Olaf Hars sind Männer weniger von den Folgen einer Mental Load betroffen, weil sie weniger mit gesellschaftlichen Erwartungen kämpfen als Frauen. Dank der Studie zeigte sich ebenfalls: Männer haben häufig das Gefühl, am Haushalt und an der Familienorganisation beteiligt zu sein. Sie wissen aber selten, dass es sich lediglich um einen Bruchteil der gesamten zu erledigenden Arbeit handelt.

Auch wenn Frauen häufiger von Mental Load betroffen sind, ist die Belastbarkeit eines Menschen sehr individuell. Es hängt immer von der persönlichen Resilienz ab, wie schnell man sich überlastet fühlt. Jede und jeder sollte daher auf das eigene Gefühl hören.

Was kann man gegen Mental Load tun und wo fängt man an?

Fünf wesentliche Punkte verdeutlichen, dass man sich der dauerhaften Überlastung der Familienorganisation nicht zwangsläufig unterwerfen muss.

Tipp 1: Kommunikation – das A und O

Für Dr. Hars liegt der Schlüssel zur Reduzierung von Mental Load darin, Unsichtbares sichtbar zu machen. Es ist unumgänglich, sich darüber mit dem Partner oder der Partnerin auszutauschen. Hat man sich einmal vor Augen geführt, welche konkreten Aufgaben im Alltag bewältigt werden müssen und wer genau diese übernimmt, schafft man einen klaren Ausgangspunkt, um Dinge neu zu verteilen und die von Mental Load betroffene Person zu entlasten. Es geht dabei vor allem um Wertschätzung. Sich häufiger einfach mal Danke sagen, für das, was der andere getan hat, zeigt Anerkennung. Unser Belohnungssystem wird befriedigt, was sich positiv auf die Mental Load auswirkt.

Tipp 2: Sind die Aufgaben einmal verteilt, sollten sie das auch bleiben

Vielen Frauen fällt es schwer, andere machen zu lassen. Auch dies ist auf das Erbe vergangener Familienmodelle zurückzuführen. Möchte man aber seine Mental Load wirklich verringern und für eine entspanntere Verteilung der Aufgaben sorgen, sollte man diese zu 100 Prozent abgeben.

Ist der Partner dafür zuständig, das Kind am Wochenende mit auf den Spielplatz zu nehmen, überlegt er sich, was das Kind anziehen soll, ob es die richtigen Schuhe für den Spielplatz trägt und welcher Snack eingepackt wird. Die Partnerin sollte also nicht alles vorbereiten und somit die gesamte Denkarbeit übernehmen, damit der Partner nur noch auf den Spielplatz gehen muss.

Der Mann soll sich dieses Jahr um die Weihnachtsgeschenke seiner Familie kümmern. Das heißt nicht: Die Frau sucht alle Geschenke aus, überlegt, was sie letztes Jahr schon verschenkt hat, und schaut, wo es die Geschenke zu kaufen gibt, sodass der Mann nur noch zum Bezahlen in den Laden geht. Stattdessen sollte der Mann die Verantwortung für den gesamten Vorgang tragen. Männern hingegen sollte ebenfalls der Druck genommen werden, dass sie immer für Reparaturen oder Technisches verantwortlich sein sollten, dass nur die Mutter die Kinder trösten kann und der Vater lediglich der zweite Ansprechpartner bleibt, wenn Lehr- und Erziehungskräfte etwas besprechen möchten.

Auch die Kinder lassen sich ohne schlechtes Gewissen in kleine Alltagsaufgaben einbinden (Zimmer aufräumen, schmutzige Socken direkt in den Wäschekorb werfen, Tisch abräumen …). Die Organisation des Familienalltags ist schließlich ein Thema, das alle betrifft.

Tipp 3: Am eigenen Perfektionismus schrauben – was ist wirklich wichtig?

Der heutige Alltag ist von so viel Idealismus, vom „We can have it all“-Syndrom geprägt, dass Mütter und Väter per se in der Unmöglichkeit untergehen. Es ist wichtig, sich einmal die Frage zu stellen, wo die eigenen Prioritäten liegen (nicht die der Gesellschaft, nicht die der Nachbarn oder die der eigenen Eltern). Was ist einem als Eltern für die eigene Familie wichtig? Darüber sollte man sich als Paar einig werden. Viele Paare rutschen automatisch in die alten Verhaltensmuster, die sie von den eigenen Eltern erlernt haben. Sinnvoll wäre, sich zu überlegen, welche Art von Organisation für die eigene Familie am besten passt.

Wie sich Mental Load im Alltag weiter verringern lässt? Mit mehr Leichtigkeit! Hinnehmen, dass auf der To-do-Liste auch einmal Punkte offenbleiben oder dass man nicht das perfekte Geburtstagsgeschenk gekauft hat und die Kinder trotzdem eine tolle Zeit hatten. Werden sich die Kinder daran erinnern, dass das Wohnzimmer immer schön aufgeräumt war? Oder denken sie später an die Momente zurück, an denen man zusammen am Tisch gesessen und gelacht hat? Es kostet etwas Überwindung und viel Übung. Aber es macht das Familienleben entspannter und lebenswerter.

Mit Yoga und Meditation gegen Mental Load

Um körperliche und geistige Symptome einer zu hohen Mental Load zu verringern, rät Dr. Hars, eine Art Auslassventil zu schaffen. Yogaübungen eignen sich besonders gut, da hier Körper und Geist über die Atmung in Einklang gebracht werden.

Wer sich im trubeligen Familienalltag wirklich keine Stunde für einen Kurs freischaufeln kann, muss sich keine Sorgen machen. Es genügt schon, Ruhe als heilende Kraft wahrzunehmen und sich mehrere kurze Pausen am Tag zu gönnen.

Ein Body-Scan, bei dem man versucht, jedes seiner einzelnen Körperteile bewusst zu spüren, sorgt dafür, sich seiner Anspannung bewusst zu werden. Was und wo fühlt sich etwas belastend an?

Beim Meditieren lässt sich üben, kreisende Gedanken vorbeiziehen zu lassen und zur Ruhe zu kommen. Denn der Schlüssel für einen beruhigten Geist ist, einen Reset im Kopf zu schaffen, was wiederum Stress reduziert.

Bin ich auch von Mental Load betroffen?

➔ Hier können Sie einmal selbst testen, wie es bei Ihnen und Ihrer Familie mit der Mental Load steht. Wer keinen umfangreichen Test machen möchte, kann zu einer simplen Lösung greifen: Beide Partner machen sich eine Liste mit allem, worum sie sich regelmäßig (täglich oder wöchentlich) kümmern. Man setzt sich zusammen, vergleicht, wägt Prioritäten und Wünsche ab und verteilt gegebenenfalls um. Die unsichtbare Last zu Papier zu bringen und damit sichtbar zu machen, kann Verständnis für den anderen erzeugen. Nur so können neue (gerechtere) Gewohnheiten innerhalb der Partnerschaft entstehen. Und das ist wohl der wichtigste Schritt zur Entlastung.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

* Diese Felder sind Pflichtfelder.