Verantwortungseigentum: Unternehmerisches Gestalten ohne Besitz

Geschäftsführer Matthias Wehrle im Porträt.

Das Wort „Bauer“ wird in diesem Text häufiger zu lesen sein – obwohl es hier gar nicht um Landwirtschaft geht. Aber es passt so vieles. So auch der Satz: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.“ Denn die Angst vor Neuem trifft auch auf das Gesellschaftsrecht zu. Ein Purpose-Unternehmen wie Waschbär ist ungewöhnlich. Es hat zwar Gesellschafter, die besitzen das Unternehmen jedoch nur treuhänderisch und können Gewinne nicht in ihre eigene Tasche wirtschaften. Bestimmen und Gestalten sollen jene, die im Unternehmen arbeiten – und nicht etwa unternehmensferne Aktionäre. Statt Gewinnmaximierung steht Sinnorientierung im Mittelpunkt. Über das Einhalten dieser Grundsätze wacht eine Stiftung.

„Wenn man solch ein Modell erklären will, verstehen viele vielleicht die Idee dahinter, aber es bleibt halt ein Gschmäckle“, sagt Waschbär-Geschäftsführer Matthias Wehrle im schönsten Badisch. „Deshalb wird es Zeit für eine neue Rechtsform, die durch ein Bundesgesetz regelt, wie Firmen in Verantwortungseigentum aufgestellt sein müssen.“

Verantwortung übernehmen ohne eigenen Besitz

Verantwortungseigentum: Ein Wortungetüm, das kaum jemand kennt. Um es zu verstehen, hilft ein Vergleich mit dem Bauern. Der hat normalerweise eigenes Land, mit dem er im Rahmen der Gesetze machen kann, was er will. Häufig reicht diese Fläche aber nicht, deshalb muss der Bauer Land dazu pachten. Obwohl es ihm nicht selbst gehört, nutzt er diese Fläche zum Erzielen von Gewinn für seinen Betrieb; auch trägt er Verantwortung dafür, dass er mit dem gepachteten Land gut im Sinne von nachhaltig umgeht – sonst wird er auf Dauer keine Ernte haben. Verkaufen kann er es nicht, denn es gehört ihm ja nicht.

Ähnlich ist es für die beiden geschäftsführenden Gesellschafter von Waschbär. Katharina Hupfer und Matthias Wehrle halten zwar jeweils 49,5 Prozent der Anteile, sehen sich aber als „treuhänderische Eigentümer“. Was die Arbeit des Waschbär-Teams an Gewinnen erwirtschaftet, fließt nicht in die Tasche der Gesellschafter, sondern bleibt im Unternehmen. Sollten Katharina Hupfer und Matthias Wehrle einmal nicht mehr für Waschbär arbeiten, verlassen sie das Unternehmen wie jeder andere Angestellte auch. Wie der Bauer das gepachtete Land, können die Gesellschafter die Firma eines Purpose-Unternehmens nicht im klassischen Sinne verkaufen oder vererben; lediglich die Gesellschafteranteile gehören ihnen, das sind 12.474 Euro pro Kopf.

Kompliziertes rechtliches Konstrukt

In einem Punkt hinkt allerdings der Vergleich zur Pacht: Die rechtlichen Hintergründe bei Purpose-Unternehmen sind nämlich bei weitem komplizierter. Wer in Deutschland solch ein Konstrukt wählt, muss sich gut im Gesellschafts- und Steuerrecht auskennen. Oder sich beraten lassen. Das ist aufwändig und kostet viel Geld. „Wir haben über ein Jahr gebraucht, um mit dem ehemaligen Waschbär-Eigentümer Ernst Schütz seine Nachfolge zu regeln“, erinnert sich Matthias Wehrle an das Jahr 2017, als die Waschbär-Geschäftsführung gemeinsam mit Ernst Schütz nach einer Nachfolge-Regelung suchte, die den Fortbestand des Unternehmens samt seiner ideellen Werte sicherte. „Die Idee war, das Unternehmen als eigenständigen Organismus zu betrachten. Das heißt, dass das Vermögen, das im Unternehmen besteht und entsteht, auch im Unternehmen bleibt und diesem gehört“, sagt Matthias Wehrle.

Purpose-Stiftung wacht über die Purpose-Prinzipien

So entstand die Idee, mit der Purpose-Stiftung zusammenzuarbeiten. Diese hält mit einem Prozent den kleinsten Teil des Unternehmens. Doch dieses eine Prozent hat Gewicht: Laut Gesellschaftervertrag kann die Stiftung nämlich Beschlüsse der anderen Gesellschafter – derzeit also der beiden Waschbär-Geschäftsführer – blockieren, wenn diese Entscheidungen treffen, die nicht im Sinne der Gesellschaftssatzung sind. „Natürlich haben wir versucht, die Vermögensfrage in unserer Satzung nach bestem Wissen und Gewissen zu regeln. Aber mit einem neuen Gesetz hätte man deutlich mehr Sicherheit als mit der Konstruktion, die wir uns jetzt ausdenken mussten“, so Wehrle.

Gesetzentwurf für Gesellschaft in gebundenem Vermögen

Für ein solches Gesetz setzt sich die Stiftung Verantwortungseigentum ein. Waschbär war 2019 eines von 32 Gründungsmitgliedern. Ziel der Initiative ist eine zusätzliche Rechtsform im Gesellschaftsrecht zu etablieren, die Startups sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen eine sinnstiftende Nachfolgeregelung ermöglicht und langfristig die Eigenständigkeit der Unternehmen jenseits des Gewinnstrebens Einzelner sichert. Acht Professoren und Anwälte haben in den letzten beiden Jahren an einem ersten Gesetzentwurf gearbeitet; seit Februar 2021 liegt eine überarbeitete Fassung vor.

Diese schlägt vor, das bestehende Gesellschaftsrecht mit Regelungen für GmbH, AG und andere Unternehmensformen um eine zusätzliche Variante zu ergänzen: die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“. Der etwas sperrige Begriff soll klarmachen, dass keineswegs anderen Unternehmen das Streben nach verantwortungsvollem Handeln abgesprochen werden soll. „Die bestehenden Formen im Gesellschaftsrecht soll es weiter geben“, so Matthias Wehrle. „Aber für Konstrukte wie bei Waschbär braucht es eben eine individuelle Lösung. Wenn diese einen rechtlichen Rahmen durch ein Gesetz hätte, würde das für uns mehr Sicherheit bedeuten und für die Verbraucher mehr Klarheit und Transparenz.“

Stiftungslösung als Hilfskonstrukt

Bauernschlau: Das muss man in Deutschland bislang sein, wenn man sein Unternehmen weder innerhalb der Familie vererben, noch meistbietend verkaufen will. Wer für sein Unternehmen bestimmte Werte definiert und die auch künftig erhalten will, kommt um eine Stiftungslösung kaum herum. Vorreiter beim Übertragen von Firmenanteilen an eine Stiftung war vor über 130 Jahren Zeiss in Jena. Ganz neu ist die Idee also nicht. Doch der Weg über eine Stiftung ist bis heute rechtlich so kompliziert, dass erst rund 200 Firmen in Deutschland diese Form gewählt haben.

Neue Rechtsform ist gewünscht

Gerade für kleinere Firmen ist der Weg für eine individuelle Regelung zu langwierig und teuer. Doch gerade viele mittelständische Unternehmen hätten Interesse an einer rechtlich verbindlichen Regelung. Das hat das Institut für Demoskopie Allensbach in einer repräsentativen Studie über die Nachfolgefrage in familiengeführten Unternehmen herausgefunden. Laut der im Mai 2021 veröffentlichten Daten befürworten 72 Prozent der befragten Unternehmen eine neue Rechtsform. Allerdings favorisieren zwei Drittel dieser Unternehmen eine Nachfolgeregelung innerhalb der Familie. Das funktioniert aber häufig nicht, weil sich niemand mit entsprechendem Können oder Wollen in der Familie findet. Dann bleiben nach üblichem Gesellschaftsrecht nur drei Möglichkeiten: das Unternehmen entweder verkaufen, an Mitarbeitende oder an jemanden von außen übergeben oder eine Stiftungslösung entwickeln.

Alternative zu Stiftungslösungen durch Verantwortungseigentum?

Letzteres ist besonders kompliziert; die Kosten für die rechtliche Beratung klettern schnell auf über hunderttausend Euro. Kein Wunder, dass sich 76 Prozent der vom Allensbacher Institut befragten Unternehmen für ihre Nachfolgeregelung keine Stiftung vorstellen können. Dennoch wäre jedes fünfte Unternehmen laut Studie an einer einfacheren Lösung interessiert – wenn es sie nur gäbe.

Genau hier setzt die Stiftung Verantwortungseigentum an. Ob deren Gesetzentwurf irgendwann einmal verbindliches Recht wird, hängt auch von den Mehrheitsverhältnissen der neuen Bundesregierung nach der Wahl im September 2021 ab. SPD und Grüne haben das Fördern von Verantwortungseigentum als Ziel in ihr Wahlprogramm geschrieben. CDU und FDP haben zwar bei einer Diskussion der Gesetzesinitiative im April 2021 in Berlin hochrangige Vertreter wie Armin Laschet und Christian Lindner mitdiskutieren lassen; aber im Wahlprogramm der beiden Parteien kommt das Thema Verantwortungseigentum nicht vor.

Bleibt alles wie es ist: kompliziert?

Zum Schluss noch eine Bauern-Regel: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter – oder es bleibt, wie es ist.“ – Sollten sich die politischen Verhältnisse nach der Bundestagswahl im September ändern, hätte die von Waschbär unterstützte Gesetzesinitiative der Stiftung Verantwortungseigentum gute Chancen, im Bundestag diskutiert zu werden. Ansonsten bleibt eben alles, wie es für Unternehmensübergaben jenseits des üblichen Gesellschaftsrecht ist: kompliziert.

 

 

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