Insektensterben: Warum brauchen wir Insekten?

In den letzten 27 Jahren ist die Zahl der Fluginsekten drastisch zurückgegangen. Das belegt eine Studie aus Deutschland, die im Herbst 2017 bundesweit durch die Presse gegangen ist und auch internationale Wissenschaftler auf den Plan gerufen hat. Till-David Schade, der seit 2013 in der Berliner Bundesgeschäftsstelle des NABU als Referent für Biologische Vielfalt arbeitet, erklärt, warum die Studie zum Insektensterben so wichtig ist, welche Bedeutung Insekten für unser Ökosystem haben und wie unser Konsumverhalten die Insektenwelt beeinflusst.

Herr Schade, können Sie bitte noch mal kurz zusammenfassen, um was es bei der Studie geht und welche Ergebnisse sie erbracht hat?

Bei der im Oktober veröffentlichten Studie des Wissenschaftsjournals PLOS ONE handelt es sich um die Auswertung von Ergebnissen von einer Untersuchung des Entomologischen Vereins Krefeld, die seit 27 Jahren läuft. An 63 Standorten in Nordwestdeutschland stehen Fallen in Naturschutzgebieten. Mithilfe dieser Fallen werden Fluginsekten gesammelt und gewogen. Die aktuelle Auswertung hat gezeigt, dass die Biomasse über die Jahre hinweg im Trend um über 75 Prozent zurückgegangen ist. Es geht dabei nicht um den Rückgang der Artenvielfalt, sondern um das Gewicht der gefangenen Insekten.

Was ist das Besondere an dieser Studie, die ja sehr viel Aufmerksamkeit erfahren hat?

Es gibt keine vergleichbare Studie, die über so einen langen Zeitraum gemessen hat und das mit einer wissenschaftlich standardisierten Methode. Die Krefelder Wissenschaftler haben das von Anfang an korrekt gemacht und halten sich auch nach wie vor an diese standardisierte Erfassungsmethodik. Daher hat die Untersuchung einen hohen wissenschaftlichen Wert!

Konnten die Wissenschaftler auch die Gründe für den starken Rückgang benennen?

Sie konnten zumindest zwei Faktoren ausschließen. Einer ist das Klima, also veränderte Temperaturen oder Niederschläge. Dafür haben sie die Werte von Wetterstationen aus der Umgebung mit den Insektenwerten verglichen. Und sie konnten ausschließen, dass eine Veränderung der Vegetation den Insektenrückgang erklärt. Das hat die Autoren zu der starken Vermutung gebracht, dass die maßgeblichen Gründe bei der Landwirtschaft liegen, aber wissenschaftlich bewiesen ist das noch nicht. Dafür müsste man Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen bekommen und bräuchte die Bereitschaft der Landwirte. Diese müssten offenlegen, wieviel Pestizide oder Dünger sie einsetzen. Das sind ja Daten, die nicht mal die Bundesländer selbst kennen.

Es wurde ausschließlich in Naturschutzgebieten gemessen. Warum sieht man trotzdem eine Verbindung mit der Landwirtschaft?

94 Prozent der Untersuchungsstandorte sind überwiegend von intensiv bewirtschafteten Flächen umgeben. Die Insekten bleiben ja nicht nur in den Naturschutzgebieten, sondern haben einen gewissen Aktionsradius. Manche Wildbienen legen zum Beispiel bis zu fünf Kilometer am Tag zurück. Daher hat die Umgebung einen starken Einfluss auf die Insekten.

Welchen Einfluss hat die Landwirtschaft?

Pestizide sollen eigentlich so selektiv wie möglich sein, also nur das töten, was die Pflanzen schädigt. Aber man weiß, dass Insektizide eben häufig nicht selektiv sind und der ganzen Vielfalt an Insekten schaden. Der Einsatz von Herbiziden, wie z.B. Glyphosat, ist dafür da, sogenanntes Unkraut zu vernichten. Das betrifft aber auch die Nahrungsquellen oder Nistmöglichkeiten für Insekten. Es ist offensichtlich, dass da eine Verbindung besteht. Und es wird alles monoton bewirtschaftet mit wenigen Kulturpflanzen, die nur zu einer gewissen Zeit blühen und dann nicht mehr. Es gibt sehr wenig brachliegende Flächen, Ackerrandstreifen oder Feldhecken, wo sich die Natur frei entfalten kann. So können sich keine vielfältigen Lebensräume mehr ausbilden.

Intensive Landwirtschaft lässt kaum Raum für natürliche Vielfalt.

Mit welchen Folgen?

Weder Mensch noch Natur können auf Insekten verzichten. Sie haben eine Schlüsselfunktion! Aus menschlicher Sicht: Wir haben eine starke Abhängigkeit von Insekten aufgrund ihrer Bestäuberfunktion. Über 90 Prozent der Kulturpflanzen weltweit sind zumindest teilweise von Insekten anhängig. Bei einem Rückgang der Insekten ist die Verfügbarkeit unserer Nahrungsquellen gefährdet.

Und was bedeutet der Rückgang für unsere Ökosysteme?

Man weiß, dass rund 80 Prozent der wilden Pflanzen zumindest teilweise von Bestäubung abhängig sind. Daher gefährdet das Insektensterben die Vielfalt der Pflanzen in der freien Landschaft. Das betrifft dann auch die Tiere, die diese Pflanzen als Lebensräume nutzen. Zudem dienen Insekten auch als Nahrungsquelle für andere Tierarten. Man vermutet ja sehr stark, dass der Rückgang an Vögeln mit dem Insektensterben zusammenhängt.

Wo muss man ansetzen, um den weiteren Rückgang der Insekten zu stoppen?

Wir haben als ersten wichtigen Spieler die Landwirtschaft im Blick. Allein die Tatsache, dass über 50 Prozent der Landesfläche in Deutschland landwirtschaftlich genutzt werden, macht klar, dass die Nutzungsform, die am häufigsten auftritt, eine der maßgeblichen Ursachen sein muss.

Muss man da zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft unterscheiden? Ist die biologische Landwirtschaft eine Lösung?

Das ist auf jeden Fall ein Baustein. Bio-Landbau ist der derzeit umweltschonendste Standard. Darüber hinaus gibt es noch Möglichkeiten, die konventionelle Landwirtschaft naturschutzfreundlicher zu machen. Naturschutzförderung in der Landwirtschaft sollte finanziell attraktiver für die Landwirte werden. Wir haben ein Fördermodell vorgeschlagen, durch welches die Bauern nur noch dann Subventionen – die ja aus unseren Steuergeldern finanziert werden – erhalten, wenn sie auch einen aktiven Beitrag für den Natur- und Umweltschutz leisten.

Mücken tanzen im Sonnenschein
Wer tanzt da im Sonnenschein? Der NABU ruft in einer Sommeraktion zum Insektenbeobachten auf.

Kann denn auch jeder einzelne etwas gegen diese Entwicklung tun oder sind wir machtlos?

Ich finde es wichtig, dass jeder das macht, was er machen kann! Natürlich darf man das große Ganze nicht aus den Augen verlieren; aber wenn man im Kleinen versucht, etwas zu verändern, geht man viel bewusster mit etwas um. Ich glaube, dass das eigene Verhalten dann auch auf die Mitmenschen ausstrahlt und zu mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit führt. Der NABU wird übrigens in diesem Jahr die Citizen-Science-Aktion „Sommerinsekten“ durchführen, wo interessierte Bürgerinnen und Bürger während zwei Zeiträumen (Juni und August) beobachtete Insektenarten melden können. Unter der Website www.nabu.de/sommerinsekten wird es hierzu zeitnah nähere Informationen geben.

Was also kann jeder einzelne tun?

Wir sind die Landwirtschaft! Durch unseren alltäglichen Konsum beeinflussen wir maßgeblich, wie die Welt um uns herum aussieht. Bio-Produkte sind da immer besser. In der Bio-Landwirtschaft hat die Biodiversität einen größeren Spielraum und damit natürlich auch die Insekten. Das betrifft aber nicht nur die Ernährung. Bio-Baumwolle zum Beispiel ist auch besser als Baumwolle aus intensiver Landwirtschaft.

Und wenn ich einen Garten habe?

Gartenbesitzer können naturverträglich wirtschaften. Zum Beispiel komplett auf Pestizide verzichten, der Kleingärtner kann viel leichter darauf verzichten als der Landwirt. Er kann bestäuberrelevante Pflanzen aussäen, nicht alles auf englische Rasenhöhe abmähen, Totholzhaufen im Garten liegen lassen und Nisthilfen wie Insektenhotels aufstellen. Wir haben da auch viele Tipps auf der NABU-Webseite.

Imkern boomt, auch in der Stadt. Hilft das ebenfalls gegen das Insektensterben?

Das Imkern wird oft als eine Möglichkeit gesehen, dem Insektensterben entgegenzutreten. Aber eigentlich geht es um die 33.000 anderen Insektenarten in Deutschland. Die Besorgnis erregenden Ergebnisse der Studie beziehen sich auf die wilden Insekten. Honigbienen sind keine wilden Tiere, sondern domestizierte Tiere. Die Natur ist nicht auf die Honigbienen angewiesen. Wildbestäuber sind da viel wichtiger!

Eine große Fliege sitzt auf kleinen weißen Blüten.
Nicht nur Bienen sind Bestäuber – diese Fliege hilft auch dabei mit.
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